Kurzvortrag zum Beitritt Bulgariens und Rumäniens in die EU am
1.1.2007
auf Einladung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung, 10785 BERLIN
am 16.10.2006, Hl. Mart. LONGIN, Hauptmann am Kreuz
des Herrn
Erzpriester cand. Theol.
STEFAN Dipl. Ing. Gross .
Bulgarische Metropolie von West- und Mitteleuropa
Im Namen
des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes:
Die Milde des Herrn, unseres Gottes, sei über uns und reife unser Tagwerk über uns !
Amin !
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Hochgeweihte Bischöfe,
Ehrwürdige Väter, Hochgeschätzte Professoren,
Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Schwestern und Brüder in Christos!
Die Bulgarische Orthodoxe Kirche, die heute als Teil der geistigen
und geistlichen Landschaft Bulgariens an der Schwelle der EU steht, bereichert
mit Sicherheit die Vielfalt der Möglichkeiten des alten Europa, der EU.
Bei aller typisch bulgarischen Aufgeschlossenheit für das Neue
bleibt sie doch was ihr Name aussagt:
“Bulgarische Orthodoxe Kirche“
Mit Zitaten, aus den Vorlesungen eines der Väter der Orthodoxen Ökumenischen
Theologie,
des bulgarischen Erzpriester Prof. Dr. Dr. Stefan Zankow,
die er in der Zwischenkriegszeit hier
-in Berlin- gehalten hat,
will ich einleitend für Sie beleuchten,
was “Bulgarische Orthodoxe Kirche“
für uns bedeutet.
Beginnen wir mit dem Begriff: KIRCHE
“Ist die Kirche wirklich Kirche, so ist sie die Kirche Christi
!
Und als solche –als Leib Christi- vereint sie alle unsichtbaren Glieder dieses
mystischen Leibes (die in die Herrlichkeit Gottes aufgenommenen Heiligen und
Geretteten der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte) mit uns
- und allen sichtbar noch auf Erden Lebenden (einschliesslich
der Sünder);
denn gerade durch die Kirche -und in der
Kirche- haben alle Menschen;
die ja alle auch Sünder sind, den Weg offen, vollkommen und heilig zu werden.
Der Grundauftrag der Kirche erfordert es, die Irrenden und die Kranken zu
suchen,
sie in sich aufzunehmen und aus ihnen das geheiligte Volk Gottes zu schaffen
...“
Nach ihrer Verfassung definiert sich die Bulgarische Orthodoxe
Kirche
- unabhängig von jeder Macht in Bulgarien und in der Welt -
als "... ein untrennbares Glied der Einen, Heiligen,
Katholischen (im Sinne von „allumfassend“, „saborna“
= „versammelten“)
und Apostolischen Kirche
"
Diese Selbstdefinition ist charakteristisch für die ORTHODOXE
Kirche
und somit sind wir beim Begriff ORTHODOX, den Zankow
folgendermaßen beleuchtet:
„Der für jeden Verstand Unzugängliche
kehrt in unser Herz ein und wohnt in ihm;
Der auch den körperlosen Wesen des Himmels verborgen bleibt,
findet sich im Herzen des Menschen.
Die gesamte Erde kann SEINE Schritte nicht umfassen;
das reine Herz trägt IHN in sich.“
mit den Worten unseres Heiligen Vaters EFRAIM, des Syrers (4. Jhdt.)
und ZANKOW präzisiert:
Der eigentliche Erkenntnisweg der ORTHODOXIE
ist der innerliche, der geistliche, der mystische (der „intuitive“) Weg,
der Weg des Herzens...
So hat besonders die Bulgarische Orthodoxe Kirche -eben als Ausdruck
ihrer Orthodoxie-
das Bewusstsein für
christliche Ökumene immer gefördert.
Ihre Geschichte als BULGARISCHE Kirche hat sie bis vor kurzer Zeit
besonders empfänglich für die ungetrübte Sicht christlicher Gemeinsamkeit
gemacht:
Vorbereitet durch die
Missionsreisen des Hl. Apostels PAULUS, das Lebenswerk der heiligen
Apostelgleichen KIRIL und METHODIJ und deren Schüler unter der Führung der
Hll. KLIMENT und NAUM wurde die Bulgarische
Orthodoxe Kirche von 870 - 927
die älteste orthodoxe Ortskirche auf dem europäischen Festland deren
Unabhängigkeit von Konstantinopel anerkannt wurde.
Gleichsam „in stato nascendi“ hat also die
Bulgarische Orthodoxe Kirche die Vielfalt des gemeinsamen Europa bereits in die
Wiege gelegt bekommen.
Unser Metropolit von West- und Mitteleuropa SIMEON hat das in Rom so
ausgedrückt:
“Das Werk der Hll. KIRIL und METHODIJ bildet für uns
Bulgaren traditionell immer wieder die Basis für die Wieder-Erneuerung
unserer Nation – aber für alle Europäer sind sie als wahre Brückenbauer
zwischen den Christen im Osten und im Westen von hoher Bedeutung.
Ausgesandt vom Repräsentanten der östlichen Christenheit, dem Patriarchen von
Konstantinopel, aber gleichzeitig in ihrem Werk gesegnet vom Repräsentanten der
westlichen Christenheit, dem Papst von Rom, zeigt das Werk ihres Lebens bis
heute die Kraft des Christentums, wenn es mit
2 Lungenflügeln atmet.“
Ihr Lebenswerk hat die “Einheit in der Vielfalt“ gefördert, ein Leitbild sowohl
für die Christenheit
-als auch für das sich vereinigende Europa.
In dieser Vielfalt sollen gerade die kleinen Völker Europas ihre Identität
bewahren können.
So wie die Bulgaren, die bereits 893 in ihrer Kirchenordnung die bulgarische
Sprache der Hll. KIRIL und METHODIJ als verbindliche
Liturgiesprache festlegten.
Erstmals war damit in Europa die Volkssprache
-nicht nur
Latein oder Griechisch- die Sprache des Gottesdienstes!
Die Bulgarische Orthodoxe Kirche ist durch ihre über tausendjährige Tradition
DIE christliche Kirche des bulgarischen
Volkes.
Seit
ihrer Gründung ist sie Garant christlicher Selbstbestimmung gegenüber den
Zentren Konstantinopel und Rom.
Während
der -zeitweise mehr als brutalen- über 500-jährigen osmanischen Fremdherrschaft,
länger als bei den meisten anderen orthodoxen Völkern, haben es bulgarische
Bischöfe, Mönche, Monialinnen und Pfarrgeistliche
vermocht, das Christentum im Volk zu verankern
-obwohl sie von der Verfolgung durch die
antichristlichen Machthaber besonders bedroht waren.
In dieser langen Zeit entstand die idealistische Sehnsucht der Bulgaren nach
Verbindungen zum christlichen Europa.
Auseinandersetzungen mit Christen aus dem Westen sind nahezu unbekannt.
Man erwartet von West-Europa nur das Beste !
Erst
1870 erlangte die Bulgarische Orthodoxe Kirche durch ein Ferman
des osmanischen Sultans ABDUL ASIS I. mit der Genehmigung zur Errichtung des
„Bulgarischen Exarchats“ wieder ihre Eigenständigkeit
im Türkischen Reich zurück.
Die Bulgarische Orthodoxe Kirche (das Exarchat)
erwies sich als wahre „Volkskirche“ und organisierte nicht nur die pastorale
Betreuung in 18 Bistümern und 2.700 Pfarrgemeinden mit 3.300 Priestern (fast
DOPPELT soviel wie heute !) sondern auch die Volksbildung in 3.000 Schulen mit
5.000 Lehrern und die Fürsorge in 7
eigenen Krankenhäusern.
.......(siehe Anhang 3: „Religion und Werte“
Jugend-Umfrage-Ergebnisse / historische Zitate)
Heute sind in Bulgarien nach
westlichem Standard neben der Bulgarischen Orthodoxen Kirche durch die Republik
Bulgarien staatlicherseits noch weitere
72 andere Glaubensgemeinschaften registriert.
(12 davon wurden allein zwischen Februar 2005 und Februar 2006 registriert)
also im Schnitt jeden Monat eine neue Religionsgemeinschaft
...
Das ändert
aber nichts daran, dass auch heute noch
85 % der Einwohner Bulgariens der
Bulgarischen Orthodoxen Kirche angehören.
Aus weltlicher Sicht ist die Bulgarische Orthodoxe Kirche
-ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland besonders in kulturellen Angelegenheiten
(!)-
ausgeprägt FÖDERAL strukturiert:
15 Bistümer bilden die Ortskirche. An der Spitze jedes Bistums steht ein
Bischof vom Range eines Metropoliten, der in einigen Bistümern durch einen
Vikar-Bischof unterstützt wird.
Alle Metropoliten zusammen bilden die
Hl. Synode, die regulär 3 mal im Jahr tagt
und deren Vorsitzender der Patriarch ist.
Das
höchste Entscheidungsorgan in den Fragen der Verwaltung der Kirche ist das "Konzil des Volkes der Kirche", das
etwa zu gleichen Teilen aus gewählten Laien und Klerikern besteht.
In einer Versammlung ähnlicher Zusammensetzung wird auch der Patriarch gewählt
und von den Bischöfen bestätigt.
Jeder einzelne Metropolit wird -als Hirte der Ortskirche-
zu gleichen Teilen von gewählten Laien- und Kleriker-Vertretern
vorgewählt und erst danach von den anderen Metropoliten der Hl. Synode bestätigt und in sein Amt
eingesetzt.
Der
Metropolit symbolisiert zwar -gleichsam wie eine Ikone-
seine Ortskirche
-aber was ist eine Ikone ohne das Gebet
- im Gottesdienst ...und im Alltag !
So
verwirklicht sich die soziale Wirkung der christlichen Grundhaltung
ebenfalls NICHT etwa zentralistisch von Sofia ausgehend, sondern FÖDERAL und
„BASISDEMOKRATISCH“ in unzähligen Pfarr-Initiativen zwischen Donau und Rhodopen, vom Rila- und Pirin-Gebirge bis ans Schwarze Meer.
Zur
Illustration dieser Vielfalt habe ich für Sie subjektiv interessante Projekte
aus
3 Gebieten Bulgariens ausgewählt:
- aus der Hafenstadt WARNA am Schwarzen Meer
- der Kleinstadt RUSSE an der Donau
und –„last but
not least“ - SOFIA,
der Hauptstadt Bulgariens
WARNA ist DIE traditionelle Hafenstadt und
Metropole der gesamten westlichen Schwarzmeer-Region.
Heute versucht die Metropolie Warna diese Verbindung
mit der westlichen Welt durch häufige und intensive Kontakte mit Institutionen
der katholischen Kirche (Italien,Frankreich,
Spanien,Österreich)
und mit den Protestanten vor allem aus Deutschland („Evangelisches
Diakonisches Werk“)
und direkten Kontakt zu evangelischen Kirchengemeinden -von Baden-Würthemberg bis Sachsen- zu intensivieren.
Gleichzeitig wird die Metropolie
Warna auch wieder als Brückenkopf aktiv und hat die traditionell guten
Beziehungen mit Moskau wieder aufgenommen.
Ein beeindruckendes Ergebnis dieser Zusammenarbeit mit West und Ost ist ein
Projekt zur Hilfe bei Entzug und Wiedereingliederung drogenabhängig Gewordener.
RUSSE, die alte Stadt an der Donau, habe ich
nicht nur ausgewählt, weil sie mir als Heimatstadt von Elias CANETTI besonders
am Herzen liegt.
Dort ging die Initiative nachweislich von der Orthodoxen Metropolie
aus, zunächst Verantwortliche für die Arbeit in den Pfarren zu schulen.
Das Ergebnis heute ist eine Vielzahl engagierter Pfarr-Projekte, die von
Kinderbetreuung bis Altenpflege reicht.
Ein Beispiel aus Russe lässt -ganz
im Gegensatz zum Konfessionalismus des Westens-
typisch orthodoxes Kirchenverständnis aufleuchten:
Die Internet-Seite „Pravoslavie“ = also „Orthodoxie“
stellt als besonders gelungenes Projekt eine Pfarrinitiative zur Betreuung
Obdachloser vor.
Die Pfarre ist die Pfarre der Evangelischen Baptistischen Kirche !
Im Denken der Orthodoxen sind die im Bistum Russe lebenden Christen eben noch EINE Gemeinschaft, auch wenn
manche sich derzeit mit „exotischen Etiketten schmücken“ !
Wenn dabei auch noch Dollars -für einen guten Zweck-
ins Land kommen, wird der typische Bulgare (als RADIKALER PRAGMATIKER)
diese Zusammenarbeit nur gut heissen !
SOFIA spiegelt als Hauptstadt die Vielfalt
kirchennaher Projekte.
.......(siehe Anhang 1:
3-Stadt-Übersicht
-Verantwortliche: 30%
Geistliche /// 70% (!) Frauen )
Drehscheibe -auch
bezüglich internationaler Kontakte- ist
die Stiftung POKROV
(„Obhut der Gottesmutter“ oder „Mariä Schutz“, wie
ich als geborener Österreicher gesagt hätte und wie man es vielleicht auch im Süden Deutschlands
versteht).
Diese Stiftung hat sich in 10 Jahren aus einer Pfarr-Initiative in eine wahre
„Volkshochschule nach bulgarischer Tradition = TSCHITALISCHTE“ entwickelt.
Heute kann sie (auch durch Unterstützung aus Griechenland, Skandinavien,Holland,
Deutschland und anderen Ländern) ein Jahresbudget von 4 Millionen Euro
für ihre -durchaus
westlichen Standards entsprechenden-
Projekte einsetzen:
Kinderbetreuung von „Musiktherapie für Babys“, Singen und Ikonenmalen
für Kleinkinder und Jugendliche ...bis
zu „Nachhilfe bei den Hausaufgaben“
Erwachsenen-Bildung mit 3-jährigen Kursen für Glaubensverkündigung,
Dogmatik, Patrologie,
Heilige Schrift, Gottesdienst und Chorgesang, Ikonenmalerei und Fotografie
(analog und digitale !) und vieles mehr....
In vorbildlicher orthodoxer Haltung wird
dieses beeindruckende Programm abgeschlossen
-mit einem Satz
-mit dem auch ich meinen Kurzvortrag beenden
will:
“Wir
erbitten Eure Vergebung für unsere Unzulänglichkeiten und unseren Hochmut;
und betet für uns !“